Hunger nach Leben

Installation – Platz vor dem Osnabrücker Rathaus

Die Welt ist ungerecht. Zutiefst. Über 800 Millionen
Menschen leiden an Hunger, akutem Hunger, chronischem
Hunger. Über zwei Milliarden Menschen
sind mangel- oder unterernährt. Viele Millionen
Menschen sterben an Hunger, Jahr für Jahr, vor
allem in Südasien und im subsaharischen Afrika,
allein 15.000 Kinder pro Tag. Und reiche Länder,
Länder wie Deutschland, leben im Überfluß, betreiben
Ressourcenraubbau, vernichten Lebensmittel
aus Profitsucht, statt sie denen zu geben, die sich
brauchen, verwehren oder erschweren Hungernden
die Flucht-Einreise, durch militärisch bewachte
Grenzen, durch staatliche Waffengewalt, durch
staatlichen Terror.

Beschämend ist das, obszön, skandalös. Politisch,
ethisch. Der Welthunger-Index 2021 spricht von
„Rückschlägen in der Hungerbekämpfung“. Die
Weltgemeinschaft sei „dramatisch“ vom Kurs abgekommen

Zur Fastenzeit 2022 macht der Osnabrücker
Künstler Volker-Johannes Trieb mit einer mahnenden,
anklagenden Rauminstallation auf diesen
Mißstand aufmerksam. Sie findet, frei zugänglich,
im öffentlichen Raum vor dem Osnabrücker Rathaus
statt, 40 Tage lang.

Das Bild, mit dem Trieb die Stadtgesellschaft
konfrontiert, ist schonungslos und symbolhaft:
Der Betrachter begegnet einem rostzerfressenen
Schiffscontainer, dessen Türen offenstehen.
Der Boden des Containers ist mit Wohlstandsmüll
bedeckt – darunter leere Lebensmittelverpackungen,
die wir in Ländern entsorgen, in denen die
Menschen Hunger leiden – Recycling, wie es
offiziell heißt, ist das nicht. Keramische Fußspuren
führen in die Tiefe des Raums: Dort ist, hinterleuchtet,
ein Foto zu sehen, dass die gesamte
Rückwand füllt – schockhaft zeigt es den Schrecken
des Hungers.

Der Container steht für unsere Illusion, Hilfslieferungen
könnten die Lebensbedingungen der
Menschen vor Ort nachhaltend und entscheidend
verbessern. Und er prangert die Perfidie an, Hungernde
mit umweltverseuchendem Abfall zu belasten,
dessen Inhalt, teils achtlos bei uns weggeworfen,
ihren Hunger hätte lindern können. Die Fußabdrücke
stehen sowohl für unseren Euro- und Egozentrismus,
Nahrung mit Füßen zu treten als auch für
den unausweichlichen Weg vieler Menschen in
den Hunger hinein. Das Foto der Rückwand, auf
das der Betrachter imaginär zugeht, steht für das
Leid, das der Hunger verursacht.

Ein Bild wie dieses an einem Ort der Stadt, der
zum entspannten Flanieren einlädt, der, durch seine
Nähe zum Rathaus, auch für die Verantwortung
steht, die die Politik hat, öffnet Augen.
Die Erkenntnis: Der Mensch, vor allem der westliche,
der Bewohner der Industriestaaten, prasst auf
Kosten der Hungernden. Was der Container zeigt,
ist wissentlicher wie willentlicher Mord. Es könnte
gerechter zugehen auf der Welt. Dazu müssten die
Habenden umdenken, zugunsten der Nicht-Habenden.
Eine Utopie, ein Wunschtraum?
Wir müssten es nur wollen.