Nördlich von Berlin zwischen dem Großen Döllnsee und dem Wuckersee lag einer der geheimnisvollsten Orte der NS-Diktatur: Hermann Görings Wohnsitz „Carinhall“. Hier, auf dem repräsentativen Waldhof, knüpfte Göring Kontakte zu wichtigen Staatsmännern und Diplomaten aus aller Welt und machte menschenverachtende Politik. In den unzähligen Räumen und Hallen des riesigen Anwesens war die mit Staatsgeldern gekaufte oder im Krieg europaweit zusammengestohlene Kunstsammlung Görings untergebracht: Raub- und Beutekunst, deren Ballung an einem Ort damals ihresgleichen suchte. Mit dem Herannahen der Roten Armee im Januar 1945 ließ der Reichsmarschall einen Teil seiner Kunstsammlung wegschaffen, ein großer Rest aber verblieb in Carinhall. Am 28. April 1945 ließ Görings Sprengung mit über 80 Fliegerbomben von der Anlage und den Kunstwerken fast nichts übrig. Oder doch?
Der Wachsoldat Mathias Meinert aus Oesede bei Osnabrück war von 1939-1940 auf Hermann Görings Wohnsitz „Carinhall“ stationiert: Er überlieferte nicht nur Fotos, die es heute kein zweites Mal gibt, sondern rettete auch einen Gegenstand zweifelhaften Wertes vor seiner Vernichtung…
Im Jahre 2023 hielt der Autor dieses Buches eine potentielle NS-Devotionale samt lückenloser Provenienz widerwillig in der Hand: Wie umgehen mit einem Brieföffner aus Hermann Görings Besitz?
Der Autor übergab die Sache dem Osnabrücker Künstler, Volker-Johannes Trieb, der sich lange Zeit mit einer künstlerischen Intervention sehr schwertat, aber letztendlich den Mut aufbrachte, sich der Sache zu stellen: Der Gegenstand, so Triebs Grundsatz, darf nicht entsorgt werden. Er muss erhalten bleiben, wie auch die NS-Geschichte, die daran klebt, konserviert werden muss: ungeschönt und unverändert, – uns als Mahnung erhalten. Er darf jedoch weder zur Schau gestellt noch in irgendeiner Form erhöht werden. Wie also künstlerisch mit ihm verfahren? …
Erinnerungskultur ist in der Kunst leicht verdaulich, wenn sie Sujets der Menschlichkeit, der Freiheit und des Friedens herausstellt, was aber wenn sie mit belasteten Gegenstände konfrontiert wird? Da braucht sie einen: den Typus des couragierten Künstlers wie Volker-Johannes Trieb.